Interview Pablo Ardouin mit Diether Dehm
Fast jeder Deutsche hat Strophen seiner Hits schon einmal
mitgeträllert: „Tausendmal berührt“, „Faust auf Faust“, „Was wollen wir
trinken“, „Das weiche Wasser bricht den Stein“. Texte und Musik auf seiner
neuen CD „Große Liebe.Reloaded“ werden von Konstantin Wecker, Heinz Rudolf
Kunze (der gelegentlich für die CDU warb) und Peter Maffay (der im
SPD-Wahlkampf sang) hochgelobt
Pablo Ardouin: Wie hat ein überzeugter Marxist, der Du ja seit
langem bist, es in Hitparaden geschafft, viele Gold- und Platin-LPs produziert?
Diether Dehm: Die Songs nahmen Wege von weit links in die
Mitte der Gesellschaft. „Was wollen wir trinken“ war 1978 für das „Rock gegen
Rechts-Festival“ gegen den NPD-Bundesparteitag in Frankfurt gemacht worden, und
heute ist es auf CDs mit Partykrachern – was mich übrigens gar nicht stört.
„Das weiche Wasser“ habe ich für die niederländischen bots und gegen die
US-Raketen im Oktober 1981 geschrieben, später auf Wunsch von Willy Brandt für
die 125-Jahr-Feier der SPD als Parteihymne modifiziert. Auf meiner aktuellen CD
singe ich es als harte Rock-Version mit Übersetzung der 93jährigen Folk-Legende
Pete Seeger.
P.A.: Mit einigen Künstlern, mit denen Du gearbeitet hast, bist
du nicht mehr in so gutem Kontakt, zum Beispiel BAP...
D.D.: Als Wolfgang Niedecken in Richtung Joschka Fischers
Bomben auf Belgrad ging, war das ein Scheidepunkt. Wer nur, solange die Friedensbewegung
Sendeplätze und neues Publikum brachte, dabei war, wie auch Wolf Biermann, den ich
gemanagt habe, ist nicht so mein Fall.
P.A.: Du sollst als dessen Manager gegen Wolf Biermann
spioniert haben. Der BILD-Zeitung sagtest Du hingegen, die Stasi hätte gegen Dich
eine Fahndung angeordnet?!
D.D.: Ja, das entsprechende Dokument hängt zuhause bei mir
neben meinen Gold-LPs. Leider konnte ich es, dank Gauck, aber erst Monate
später einsehen, nachdem Stasi-Akten über mich bei BILD und SPIEGEL längst öffentlich
ausgeschlachtet waren. Nach Biermanns DDR-Ausbürgerung, Ende `76, habe ich
zusammen mit Wolfgang Abendroth und Günter Wallraff eine Protestresolution formuliert,
beim SED-Politbüro Kurt Hager übergeben und in Ostberlin verteilt. Daraufhin
wurde ich über die Grenze abgeschoben. Das war dann das Ende vieler Kontakte zu
SED und DKP.
P.A.: Mit früheren Freunden
hast Du dich entzweit, dafür mit früheren Gegnern befreundet - wie Peter Gauweiler?
D.D.: Der hat, wir wir Linken, gegen Kriegseinsätze
gestimmt, gegen den permanenten Banken-Rettungsschirm ESM und, wie
Gewerkschafter und wir, gegen den Fiskalpakt geklagt. Gregor Gysi hat sogar für
unsere Fraktion Gauweilers Klage gegen Afghanistan-Einsätze damals voll übernommen.
Bei seinen Klagen gegen den Lissabon-Vertrag geht Gauweiler zwar mehr von der nationalen
Souveränität aus, während wir eher vom Sozialstaatsgedanken ausgehend Demokratie,
Rechtsstaat und Grundgesetz verteidigen. Gauweiler streitet aber auch gegen Holocaust-Leugner,
sowohl gegen den althergebrachten als auch gegen den Neo-Rassismus, der sich
mit Neoliberalismus paart. Diese neue Herrenmenschenideologie findet sich etwa
bei dem Massenmörder Anders Breivik, der sich in seinem Manifest-Kauderwelsch
auf neoliberale Eliten in Pentagon und Wallstreet, im Likud und sogar auf den
Hetzer Hendryk Broder beruft. Das ist durchaus eine neue Gefahr von rechts.
P.A.: Jürgen Elsässer hat Dir früher einmal eine
fundamentale Formveränderung des Faschismus vorgehalten: früher als aggressiver
Nationalismus, heute als aggressiver Antinationalismus?
D.D.: Der große bulgarische Widerstandskämpfer Georgi
Dimitroff hat 1935 gesagt, der Faschismus „an der Staatsmacht sei die
terroristischste Diktatur des aggressivsten Finanzkapitals“. Dass diese Glatzen
mit ihrem Terror gegen Migranten und uns so schnell wieder Partner dieses
Finanzkapitals würden, ist unwahrscheinlich. Die Finanzmärkte kämpfen nicht
gegen „Ausländer“, sondern gegen Arme, die sich nicht wehren können. Und gegen jede
organisierte Schutzmacht sozialer Gerechtigkeit. Die Faschismen auf der Welt waren
zwar unterschiedlich, mehr oder weniger völkisch, mehr oder weniger antisemitisch.
Aber gleich nach der Machtübernahme wurden stets Gewerkschaften blutig
verfolgt. Vergessen wir nicht: Im Bankhaus Deutz hat Hitler mal den
versammelten Finanzhaien gesagt, wirtschaftspolitisch sei er selbst „ein Liberaler“.
P.A.: Der Neoliberalismus greift auch Nationalkulturen an. Wo
bleibt der Widerstand?
D.D.: Je mehr ein Land von imperialistischer Bankenmacht erpresst
und ausgeplündert wird, desto widerständiger, gelegentlich regionalistischer,
bäumen sich einzelne Nationalkulturen auf. Beispiel: indigene Traditionen
Boliviens. Nimm´ Chile. 1973, da wurde unter dem Bluthund Pinochet und seinen Chicago-Boys
der erste neoliberale Faschismus herbei geputscht. Auf dessen Gegenseite: Volksmusikgruppen
wie Inti Illimani, Quilapayun und vor allem der Volkssänger Victor Jara. Und: Dass
Mikis Theodorakis jetzt in Griechenland gerade unter der Jugend so populär ist,
hat denselben Hintergrund. In Deutschland muss sich eine nationale Kultur, wie
in dem Brecht-Lied deutlicher abgrenzen gegen nationalistische Überhöhung: „Und
das liebste mag's uns scheinen, so wie anderen Völkern ihr`s,“ In meiner Arbeit
mit der Gruppe „Zupfgeigenhansel“ haben wir Volkslieder komplett anders,
leichtfüssiger, als im „ZDF-Musikantenstadl“, arrangiert. Und in jedem Konzert
jiddische Lieder und anderes Untergepflügte als deutsche Lied-Kultur in neuem
Klang wiederentdeckt.
P.A.: In den 1980er
Jahren war Euer musikalischer Hauptgegner ZDF-Heck und Ernst Mosch. Haben sich
die Zeiten nicht geändert, geht heute nicht die Hauptgefahr vom
angloamerikanischen Schund aus?
D.D.: Meine Lieder waren damals eher Gegengift zum deutschen
Schlager. Ich habe mich am Linken Woody Guthrie mit „This Land is Your Land“
orientiert oder „Sag' mir, wo die Blumen sind?“, das Pete Seeger für die
Emigrantin Marlene Dietrich schrieb, oder am jüdischen Sänger Billy Joel. Und
jetzt an der neuen CD von Bruce Springsteen: was ein radikaler Aufschrei gegen Bankenmacht
ist. Ohne diese US-Impulse ging gar nichts. Das Problem waren marktbeherrschende
Unterhaltungskonzerne, der sich deutsche Schundmacher peinlich-devot
unterwarfen, ob BMG, Hauptsitz München, Fox in Los Angeles, oder Sony, Die
Zukunft der demokratischen Kultur liegt bei Independent Labels. Meine neue CD
zum Beispiel ist bei „Conträr-Musik“ erschienen, wo auch die wunderbaren
Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und Manfred Maurenbrecher im Katalog
sind.
P.A.: Verteidigung
der Nationalkultur – sollen unsere Fußballspieler nicht wenigstens die
Nationalhymne mitsingen?
D.D.: Als Freitag-Herausgeber Jakob Augstein während der
Fußball-Europameisterschaft in eine Deutschlandfahne gerotzt hat, fand ich das
degoutant. Aber Fußballspieler zum Mitsingen der Hymne zu zwingen, ebenso.
Manchmal singe ich mit, manchmal stehe ich sogar dazu auf, manchmal ist mir gar
nicht danach. Wer daraus eine Religion macht, schadet der Sache.
P.A.: Würdest Du dich
als Linksnationalen bezeichnen?
D.D.: Ich bin im Sinne Gustav Heinemanns Verfassungspatriot.
Unser Grundgesetz hat mit Sozialstaatlichkeit, Angriffskriegsverbot,
Vergesellschaftungsartikel 15, demokratischer Gewaltenteilung die großartigsten
Vorsätze der Welt! Außerdem: Ohne Thomas Mann, Beethoven, Brecht und Eisler
kann europäische Kultur ebenso wenig von unten wachsen, wie ohne Verdi, Picasso
und Balzac. Die Liebe zu dem, was vielen Menschen Heimat wurde, darf weder
pseudolinkem Snobismus geopfert, noch kampflos braunen Okkupatoren überlassen
werden. Zur deutschen Liedkultur gehören immer auch die der verfolgten Arbeiterbewegung.
P.A.: Deine aktuellen
Liebesliedern dürften sicher - wieder mal - von linken Zynikern „Kitsch“
vorgeworfen bekommen.
D.D.: Kitsch ist ein unübersetzbares deutsches Wort, ein
Kampfbegriff, mit dem sich deutsche Eliten Kulturen sogenannter kleiner Leute vom
Hals hielten. Warum gelten Dürers „Betende Hände“ in der Museumsvitrine als
Kunst, aber kopiert in einer Arbeiterwohnung als Kitsch? Ich liebe manches, was
manches Feuilleton als Kitsch verachtet.
P.A.: Wenn ein so politischer Mensch wie Du eine CD ausschließlich
mit Liebesliedern macht, könnte man das als Rückzug deuten.
D.D.: Liebe ist immer auch Rückzug. Ein Kämpfer, der sich
nicht auch mal zurückzieht, wird Kraft einbüßen. Auf der CD geht es viel um
Liebe beim Älterwerden, die Erleichterung, dass sich da kein Erotikverzicht
einstellt, wie bei unsern Eltern. Viele Mails von jugendlichen Hörern meines
Songs „Halt aus“ finden gut, wenn ich den Jugendfetisch aufs Korn nehme.
Manchmal sind doch die schlanken und ranken Boys und Girls bei BRAVO und BILD wie
von BDM und HJ abgekupfert, nur halt mit Tattoo und Piercing.
P.A.: Der nächste Vorwurf von Achtundsechzigern dürfte sein,
dass Du heterosexuell fixiert bist, weil es nur um Liebe zwischen Mann und Frau
geht....
D.D.: Da ist bisschen was dran, obwohl etwa „1000 mal
berührt“ oder „Lass mich fallen wie Schnee“ ebenso in Schwulenkreisen gespielt
werden. Oder nimm Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“.
P.A.: Würdest Du der These zustimmen, dass Liebe nur dann
überlebt, wenn männliche wie weibliche Identitäten stark bleiben – anstatt
Unterschiede modisch zu verwischen?
D.D.: Also, für mich waren der hohe Gesang und die langen
Haare der Beatles die erste Befreiung. Das wurde ja sowohl in der DDR wie in
Westdeutschland als weibisch abgetan. Aber mir fröstelt, wenn irgendein Diktat Frauen
ihre Weiblichkeit und Männern Männlichkeit ausreden will. Seit bestimmte
Tätigkeiten in der Produktion nicht mehr männlicher Muskelkraft bedürfen, gibt
es zwar eine Feminisierung der Lohnarbeit. Aber wenn ich dann Bruce Springsteen
sehe oder Shakira, bin ich künstlerisch beruhigt.
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Diether
Dehm, 62, schrieb u.a. für Klaus Lage, Joe Cocker, Christopher Cross,
Stomp; als TV-Autor für Joachim Kulenkampff, Thomas Gottschalk; wurde 1966
SPD-Mitglied, später SPD-Unternehmerchef und MdB. 1998 trat er zur PDS/Linke
über und zog für sie 2005 und 2009 in den Bundestag.
*
Pablo
Ardouin, Musiker, Gitarrist, Liedautor und Schriftsteller, von Victor Jara
persönlich Anfang der 1970er Jahre als bester politischer Nachwuchssänger
Chiles ausgezeichnet, floh vor der
Pinochet-Diktatur in die Bundesrepublik und lebt heute in Niedersachsen.